Presseerklärung 20 Jahre Gehölzsichtung „Grünes Labor Coburg“
Klimawandel und das Wissen um die Gehölze in der Stadt der Zukunft
Baumschulgärtner haben schon immer fremdländische Pflanzen auf ihre Eignung in Produktion und Pflanzenverwendung zur Gestaltung des privaten und öffentlichen Grüns in europäischen Regionen mehrjährig und kontinuierlich getestet, bevor sie die Pflanzware dem Kunden angeboten haben, wie Prof. Dr. Hartmut Balder von der Beuth Hochschule für Technik Berlin anlässlich der 20jährigen Gehölzsichtung im „Grünen Labor Coburg“ am 5.3.2020 vor Ort der Presse erklärte. Der Berliner Baumschulbetrieb Späth mit seiner aktuell 300jährigen Erfolgsgeschichte ist hierfür weltweit das Beispiel schlechthin. Geschah dieses früher kundenorientiert zur Sortimentserweiterung u.a. unter Ertrags – und Gestaltungsaspekten, so wird dieses heute in Hinblick auf die Verdichtung der Stadt und den Klimawandel immer bedeutsamer. Gesucht werden heute Gehölzarten, die am städtischen Standort für lange Zeit eine gute Stamm-, Kronen- und Wurzelentwicklung aufweisen. Dies bedingt, dass sie unter den urbanen Stressfaktoren der Stadt wie Raumnot, Bodenverdichtung, Trockenheit, Hitze, Wind, Salzbelastung und Schädlingsdruck gesund und vital wachsen können. Auch ist die Biodiversität in urbanen Bereichen nachhaltig zu fördern, Stadtbäume sollen daher verstärkt bedrohten Organismen als Lebensraum und zur Ernährung dienen – und da erweisen sich gerade Altbäume als wertvoll und wichtig, denn sie stellen vielseitige Habitate dar. Die Forstwirtschaft hat diesbezüglich eine lange Tradition und weiß aus Erfahrung, das sichere Aussagen für die Praxis, welche Baumarten sich auf welchen Standorten am besten eignen, erst nach langer Testung unter realen Bedingungen zu erzielen sind. Das Weißbuch „Grün in der Stadt – für eine lebenswerte Zukunft“ des Bundes fordert alle Akteure auch deswegen zu einer integrierten nachhaltigen Zusammenarbeit auf, um eine grüne Stadt der Zukunft zu ermöglichen. Horst Schunk (Baumschutz Coburg e. V.), Mitinitiator des „Grünen Labors“, sieht hierin eine positive Entwicklung der Politik im Bemühen, die Stadtentwicklung in ihren blauen, grauen und grünen Strukturen zu optimieren.
Die International Society of Arboriculture (ISA) hat mit ihrem Chapter Germany und Austria bereits 1999 im fränkischen Coburg im sog. „Grünen Labor“ eine öffentlichkeitswirksame Gehölzsichtung konzipiert, die nach 20 Jahren erste gesicherte Aussagen ermöglicht. Laubbäume, Sträucher und alte Obstsorten wurden nach Plänen des österreichischen Landschaftsarchitekten Heinz Walzer in einer Kooperation der ISA mit dem Baumschutz Coburg e. V. und der Stadt Coburg sowie mit Unterstützung privater Sponsoren (insbesondere Hans-Hermann Stöteler, Baumsachverständiger, Ahaus) als Versuchsgarten aufgepflanzt (Abb. 1). Der Versuchsgarten wird seither kontinuierlich von der Stadt Coburg gepflegt. Hinweisschilder leiten interessierte Besucher von Beginn an durch den Garten. „Wir sehen in unserer Beteiligung und in den wissenschaftlich abgesicherten Erkenntnissen für unsere kommunale Arbeit einen großen Mehrgewinn.“ wie der Amtsleiter des Coburger Grünflächenamtes Bernhard Ledermann betonte.
Durch die kontinuierliche Auswertung der 80 praxisüblich gepflanzten Gehölzarten durch Wissenschaftler der Beuth Hochschule für Technik Berlin, Studiengang Gartenbauliche Phytotechnologie, wurde das unterschiedliche Pflanzenwachstum in Vitalität, Pflanzengesundheit, Insektenfreundlichkeit und optischer Entwicklung mehr als deutlich. So neigen Baumgattungen mit aggressiver Wurzelentwicklung wie Pappel, Robinie, Kirsche oder Ahorn auf lehmhaltigen oder sauerstoffarmen Böden in versiegelter Standortsituation zu oberflächennaher Wurzelentfaltung mit folgenschweren Schäden an der technischen Struktur der Stadt. Sind die Anpassungsprozesse an sog. schwere Böden unzureichend, so kümmern derartige Gehölze und werden von Schwächeparasiten (Pracht- und Splintkäfer) befallen, wie z. B. der Geweihbaum, der Trompetenbaum, Birken oder Weißdorngewächse. Hingegen haben sich viele Sorten aus dem Ulmen-, Buchen- und Linden-Sortiment gut entwickelt. Ihre Kronenentwicklung benötigt in der Aufbauphase nur geringe baumpflegerische Korrekturen, auch ist der gewünschte ästhetische Stamm gut ausgeprägt. Dies ist aus Sicht der ISA als Kriterium für eine zukunftsweisende Baumpflege besonders wichtig, wie die ISA Vertreter Frank Rinn (Heidelberg) und Joseph Klaffenböck (Wien) gemeinsam betonten. Klimaausgelöste Schadentwicklungen wie Stammnekrosen wurden bei Ahorn deutlich, was die Verwendung dieser Gehölzart künftig weiter einschränken dürfte. Bei den Nadelgehölzen kristallisierten sich Schwarzkiefer und Lebensbäume als wuchskräftige gesunde Gehölze heraus. Viele der getesteten Gehölze dienen Insekten als Lebensraum, Nützlinge reduzieren auf natürliche Art die individuelle Schädlingspopulation.
Zum 20jährigen Jubiläum trafen sich die Beteiligten vor Ort und stellten die Ergebnisse umfassend der Presse vor. Hier setzt sich der Weg fort, den „erste Stadtbegrüner“ im 18. Jahrhundert begründet haben: Pflanzenproduktion und Pflanzenverwendung dürfen nicht getrennt betrachtet werden! Im Sinne des bundesweiten Grünbuchprozesses „Grün in der Stadt – für eine lebenswerte Zukunft“ unter aktueller Federführung des Bundesinnenministeriums braucht „…die Stadtbegrünung der Zukunft eine kontinuierliche Gehölztestung und Anpassung an sich verändernde Rahmenbedingungen wie Klimawandel, neue Schaderregerpopulationen sowie ästhetisch-funktionale Ansprüche der Stadtgestalter.“ wie Prof. Dr. Hartmut Balder nachdrücklich betont.
Die Ergebnisse der Gehölzsichtung im „Grünen Labor“ werden jetzt auf wissenschaftlichen Tagungen konstruktiv-kritisch diskutiert. Erst dann münden die Erkenntnisse in Empfehlungen für die Praxis. Schnellschüsse sind bei den großen Herausforderungen für die Stadt der Zukunft aus Sicht der Beteiligten kontraproduktiv.